Stadt, Land, Flow – (M)Eine Reise
Wo liegt eigentlich das gute Leben? Wo liegt es für mich und die, die mir wichtig sind? Große Fragen, die ich mir morgens um 5 beim Teigkneten stellte. Denn von Tag zu Tag entwickelte ich mehr Liebe zur Kunst des Backens, dem Gefühl etwas mit den eigenen Händen zu erschaffen und Menschen damit glücklich zu machen. Das war extrem erfüllend. Für den Meister im Betrieb stand meine Zukunft fest: Ich sollte Bäckerlehrling werden. Es gäbe keinen besseren Ort für mich als die Backstube. Ganz überzeugt war ich aber nicht. Das Gefühl ließ mich aber nicht los, dass es doch etwas in der Mitte geben muss. Ein Leben im Ausgleich und Abwechslung, in der perfekten Balance zwischen Kopfarbeit und Handwerk, das Beste aus beiden Welten. Über Stadt, Land, Flow.
Und da es das so noch nicht gab, habe ich es einfach selber gemacht. Erstmal habe ich Freunden davon erzählt. Die waren voller Euphorie, haben Ideen beigesteuert und wollten sofort selber mitmachen. Meine Freundin kam schließlich auf den Namen „Stadt, Land, Flow“. Seit Jahren kannte ich schon Tandemploy und war dann einfach mal so frech: Ich habe in einer kurzen E-Mail die Idee vorgestellt. Ein paar Tage später wurde ich direkt ins Büro eingeladen. Denn in dem Unternehmen für flexible Arbeit, dass seine Werte selbst lebt, wissen alle Mitarbeiter, wie wichtig es ist, Talente und Leidenschaften auszuleben. Viele machen Musik. Fast alle Tische im Büro sind vom Team selbst entworfen, geschreinert und lackiert. „Hälfte Akten, Hälfte Acker“ stieß da auf volles Verständnis und viel Unterstützung.
Die Vision: Hälfte Akten, Hälfte Acker
Als Kind wollte ich ein Leben lang nur Zuckerwatte essen! Besonders lange habe ich aber nicht durchgehalten.
Beim Traumjob ist das ähnlich: Selbst ein flexibler Job, der mit der Familie vereinbar ist und uns erfüllt, kann ab und zu ein bisschen Abwechslung gebrauchen. Einfach um ein bisschen Stress abzubauen. Um mal eine neue Perspektive kennen zu lernen. Vielleicht auch um ein neues Talent in uns zu entdecken.
Das ist die Vision von Stadt, Land, Flow – Hälfte Akten, Hälfte Acker. Den gewohnten, flexiblen Job durch ein Handwerk zu ergänzen. Das Beste aus beiden Welten! Ob Tischlerei, in der Backstube oder auf dem Feld neben glücklichen Kühen: Lasst uns in eine neue Welt eintauchen! Zwischen grün und grau, zwischen Hirn und Hand!
Stadt, Land, Flow leben
Die nächsten zwei Monate lebe ich Stadt, Land, Flow. Halb arbeite ich im Büro von Tandemploy an der Website, an neuen Partnern und Ideen und auch halb in der wohl sympathischsten Bäckerei Berlins: der Backstube in der Wassertorstraße. Nicht nur wird hier alles von Hand gemacht, hauseigener Sauerteig angesetzt und das Bio-Vollkornmehl im Keller frisch gemahlen; es wird auch darauf geachtet, dass sich alle wohl fühlen: Wer im Alter die anstrengenden Nachtschichten am Ofen nicht mehr schafft, arbeitet halt im Laden. Eine Stunde Lebenszeit aller Menschen ist hier gleich viel wert, egal ob vom Lehrling oder der Bäckermeisterin.
Aber mache ich mir jetzt einfach nur eine schöne Zeit? Oder gibt Stadt, Land, Flow Anderen auch etwas? Wer profitiert letztendlich von Stadt, Land, Flow? Ich hoffe alle!
Natürlich als allererstes die Handwerksbetriebe. Motivierte Menschen aus verschiedensten Bereichen kommen zu ihnen, um sie zu unterstützen und von ihnen zu lernen. Das ist nicht nur gut für die Produktivität, sondern auch fürs Selbstbewusstsein.
Jeden Tag stirbt eine deutsche Bäckerei. Händeringend wird in ganz Europa nach Menschen gesucht, die sich dem Handwerk widmen. Natürlich ist Stadt, Land, Flow nicht die perfekte, alleinige Lösung. Aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.
Und zwar nicht nur fürs Handwerk, sondern für jede und jeden Einzelnen von uns. Denn den Weg in Richtung Burn-out sind wir schon viel zu weit gegangen. Ein bisschen raus zu kommen, ein paar neue Handgriffe zu lernen, kann uns allen nur gut tun. Außerdem ist Selbermachen eine der besten Sachen für unseren Planeten: Ob Brot oder Tische, wenn es von nebenan kommt, ist es immer nachhaltiger. Vor allem aber glaube ich, dass es in unserer Gesellschaft viel zu wenige Momente gibt, in denen sich die Menschen auf Augenhöhe begegnen. Stadt, Land, Flow kann Raum für diese Momente geben, in denen wir sehen, dass wir von Jedem und Jeder etwas lernen können.
Nach der Reise. Mein Fazit.
Ich ging auf Reisen. Ich packte meinen Koffer und nahm mit:
- Das, was die großen Leute Naivität nennen.
- Eine DIN A4 Zeichnung von dem, was das gute Leben für mich bedeutet.
- Menschen in meiner Nähe, die mir zuhören, mich unterstützen und mit mir auch mal schweigen können.
Aber mehr nicht: Reisen sind am schönsten, wenn man im Gepäck Platz für Neues hat.
Stadt, Land, Flow war ein Ausflug. Ein Sommer gelebte Utopie. Ein Sommer zwischen Freiheit und Verbundenheit, zwischen Schaffen und Sein. Ein Sommer Herr meiner Zeit.
Das Beste aus beiden Welten
Stadt, Land, Flow ist für mich wie mit dem Blick in die Sterne durchs Meer zu treiben. Schön. Leicht. Frei. Aber nach einigen Tagen verliert man die Orientierung und braucht das Gefühl voran zu kommen: man sehnt sich nach dem Festland.
Dieses Festland war für mich die Backstube. Keine philosophischen Debatten und kein Brainstorming; nur ehrliche Menschen, die ehrliche Arbeit machen. Man wird stolz auf das Mehl an den Händen und die „Ofings“, wie wir die roten Striche nenne, die bleiben, wenn man aus Versehen kurz den heißen Ofen streift.
Doch dann ist es wieder Zeit, sich auf das Floß zu legen und zu neuen Ufern zu treiben.
Auf die new work sessions in Düsseldorf zum Beispiel. Wir redeten über die Jobs von morgen: arbeiten wann und von wo wir wollen, selbstbestimmt und vor allem mit Herzblut. Denn es gibt nicht, was diese innerste Motivation übertreffen könnte. Voller Euphorie und mit strahlenden Augen erzählten Manager und Beraterinnen, was alles möglich wird, wenn man seinen Angestellten freie Hand lässt. Sie stellen überrascht fest: „Die wissen ja, was sie tun.“
Manchmal muss ich schmunzeln, dass sich sie so über das hierarchiefreie Arbeiten freuen und es als die Zukunft preisen: In meiner Bäckerei wird seit mehr als 30 Jahren so gearbeitet. Aber zu sehen, wie nach und nach selbst die ganz Großen freie und gut gelaunte MitarbeiterInnen als wertvoll für sich und die Gesellschaft begreifen, ist schon schön. Zu sehen, dass ein Raum voller Manager anfängt zu klatschen, wenn gesagt wird, dass New Work nur mit Grundeinkommen effektiv und sozial funktionieren kann. Und zu sehen, dass man selbst als 20 Jähriger Praktikant von Tandemploy ernst genommen wird, wenn man wirklich hinter seiner Idee steht.
Das innere Fotoalbum, das ich von meiner Reise angelegt habe, ist ein atemberaubende Collage von bewegenden Momenten:
Mit Menschen lachen, bei denen man nicht genau weiß, ob sie jetzt Freunde oder Kollegen sind. Auf der Bühne vor inspirierenden Menschen stehen und zu sehen, wie sie langsam mit dem Kopf nicken, während man erzählt. Mit einem warmen Brot unterm Arm nachts von der Bäckerei nach Hause fahren.
Aber vor allem habe ich eines gelernt: Dass es das Beste ist, einfach los zu laufen.
Über Jonathan
Jonathan Funke lebt selber, was er mit „Stadt, Land, Flow“ verspricht und realisiert dabei eigentlich noch viel mehr als „Hälfe Akten, Hälfte Acker“. Er beschäftigt sich mit der neuen Arbeit und mit einer faireren Welt und ist Gründer von „Stadt, Land, Flow“ und tip me.
Wir sagen an dieser Stelle „DANKE“ – für so viel Ideenreichtum, Inspiration und Schreibfreude. Danke, Jonathan, dass du uns an deiner Reise teilhaben lässt. Bei deinem „Praktikumsbericht“ wurde uns ganz warm ums Herz.