Talent Experience: Skills suchen statt Stellen besetzen.
Wenn wir über die Talent Experience reden, müssen wir über Ansprüche und Erwartungen von Menschen reden. Denn die sind bei (potentiellen) Mitarbeitenden in den vergangenen Jahren gestiegen. Zumal auf einem Markt, auf dem sie sich das Unternehmen aussuchen können, dem sie ihre Fähigkeiten und Lebenszeit zur Verfügung stellen.
Auf Unternehmensseite sind die Erwartungen an (zukünftige) Mitarbeitende ebenfalls hoch – an deren fachliche Skills, aber fast noch mehr an ein Mindset, das durch Lernbereitschaft und Offenheit geprägt ist. Innovieren geht über Studieren – das gilt für nahezu alle Unternehmensbereiche, auch und erst recht für HR. Eine gute Talent Experience ist dabei das Ergebnis aus strategischen Überlegungen, Menschenkenntnis, Datenanalyse, Bauchgefühl und einem Gespür für Trends und Veränderungen.
Wie können sich Unternehmen der Talent Experience gedanklich und ganz praktisch annähern? – Wir geben euch heute fünf Denkanstöße.
1. Anspruchsvolle Kund*innen sind anspruchsvolle Mitarbeitende.
Wir alle sind im Alltag Kund*innen von verschiedenen Unternehmen und es zunehmend gewöhnt, dass diese uns mit passgenau auf unsere Bedürfnisse zugeschnittenen Produkten und Leistungen umschmeicheln. Der Trend geht zum „My“ – ob beim Handyvertrag oder beim Müsli. Vielleicht (vermutlich) wollen wir etwas Besonderes sein. Mit Sicherheit wollen wir als Individuen gesehen werden. Das gilt für unsere Rolle als Kund*innen ebenso wie für die als Mitarbeiter*innen in Unternehmen. Eine gute Talent Experience bedeutet in diesem Zusammenhang, den einzelnen Mitarbeitenden zu sehen, seine Bedürfnisse anzuerkennen, aber auch sein Potential, und darauf mit entsprechenden Angeboten zu reagieren. Und das vom ersten Kontakt bis zum Ausstieg aus dem Unternehmen und sogar darüber hinaus. Diese Angebote können einfache Dinge sein, wie die Wahl des passenden Kommunikationskanals. So bevorzugen gerade junge Menschen auch im beruflichen Kontext Messenger-Dienste, die sie auch privat nutzen. Aber auch die interne Rekrutierung einer Person für ein spannendes Projekt zur richtigen Zeit, nämlich dann, wenn diese Person eine neue berufliche Herausforderung sucht, kann Teil einer guten Talent Experience sein.
2. Left and Right is the new Up!
Der Aufstieg auf der Karriereleiter galt lange als das oberste Ziel von Arbeit in Unternehmen. Heute schätzen immer Menschen flache Hierarchien und ein offenes Umfeld, in dem „nach oben“ nur eine mögliche Richtung von vielen ist. Viel wichtiger, als über anderen zu stehen, ist es, mit ihnen verbunden zu sein, sich auf Augenhöhe miteinander zu bewegen, gut vernetzt auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten und sich eingebunden in eine lebendige Community auch individuell weiterzuentwickeln. Das sind die wesentlichen Faktoren für die so genannte „Mitarbeiter-Retention“, also das Verbleiben von Talenten in der Organisation. Eine Studie aus den USA kam zu dem Ergebnis, dass Mitarbeitende, die innerhalb der ersten drei Jahre im Unternehmen horizontal bzw. fachlich aufsteigen, also etwa (zeitweise) eine neue verantwortungsvolle Aufgabe in einer anderen Abteilung übernehmen oder ein neues Projekt leiten, mit 62%iger Wahrscheinlichkeit im Unternehmen bleiben. Mit einem “vertikalen Karriereschritt”, also etwa einer Beförderung auf eine Führungsebene, ist der Wert nur geringfügig höher (70 %). Ohne die Möglichkeit, sich abseits der Routine in anderen Verantwortungsbereichen auszuprobieren, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Talente bleiben, auf unter 50 Prozent.
3. Skills sind die Basis für eine gute Talent Experience.
Eine gute Employee Experience basiert darauf, dass Organisationen ein umfassendes Bild davon haben, was Kandidat*innen und Mitarbeitende können. Konkrete Herausforderungen brauchen konkrete Fähigkeiten, um sie zu lösen. Wobei “konkret” nicht zwangsläufig auf rein fachliche Kompetenzen abstellt. Auch Kreativität und Lösungsorientierung sind sehr konkrete Skills, auf die HRler sich im Recruiting fokussieren können. Zukünftig muss es noch viel stärker darum gehen, gezielt nach Skills zu suchen, statt noch mehr Stellen derselben Art zu besetzen. Praktisch mündet das z.B. in der Frage: Brauche ich wirklich eine weitere Online Marketing Managerin oder brauche ich SEO-Skills? Und muss ich diese Skills wirklich außerhalb der Organisation suchen oder möchte sich vielleicht jemand aus dem bestehenden Marketing-Team (oder aus einem anderen Team) in diese Richtung weiterentwickeln? – Um schnell Antworten auf diese Fragen zu finden, brauchen Unternehmen eine gut gepflegte und vor allem sich organisch und fortlaufend entwickelnde Skill-Map. Mit Hilfe dieser können sie die Entwicklung des*der einzelnen Person im Unternehmen stets in Beziehung zur Entwicklung der Organisation als Ganze setzen, indem sie untersuchen:
- Wo stehst du (= Mitarbeitende*r XY) und wo stehen wir als Unternehmen?
- Wo möchtest du hin – und wo möchten wir als Unternehmen hin?
- Was brauchst du – und was können wir dir anbieten?
- Was brauchen wir – und wie kannst du uns dabei unterstützen?
4. Interne Talent-Daten sind genauso gut wie externe.
Lange Zeit haben sich Firmen zu sehr auf neue Bewerber*innen konzentriert, auch, weil Führungskräfte nicht unbedingt „Hurra“ schreien, wenn es darum geht, ihre Mitarbeitenden zeitweise an andere Projekte oder Abteilungen „abzugeben“. Zudem empfanden es viele Unternehmen als einfacher, jemanden von außen einzustellen als sich intern neu zu organisieren, was auch daran lag, dass Daten über externe Bewerber*innen leichter zu bekommen waren als Daten über interne Talente. Heute ist das anders. Es gibt digitale Talent Marktplätze, auf denen Mitarbeitende ihre Skills sichtbar machen und kommunizieren können, was sie interessiert und wohin sie sich entwickeln möchten. Weder HRler*innen auf der Suche nach passenden Skills noch Mitarbeitende auf der Suche nach neuen Herausforderungen müssen ihre Fühler außerhalb der Organisation ausstrecken. Gute datenbasierte Tools bringen vorhandene Skills und Interessen in der Belegschaft mit den passenden Angeboten im Unternehmen zusammen und ermöglichen so interne Mobilität.
5. Eine gute Candidate Experience ist der Startpunkt für eine gute Talent Experience.
Unternehmen haben es in der Hand, sich strategisch einen Talentpool aufzubauen, aus dem sie immer wieder rekrutieren können, intern wie extern. Die Tatsache, dass Wohn- und Arbeitsort nicht mehr zwangsläufig zusammen liegen müssen, erweitert den Pool an neuen Kandidat*innen immens, erfordert aber auch, dass Recruiter*innen und HRler kreativ werden und den Bewerbungs- und Onboarding-Prozess auch auf Entfernung menschennah gestalten. Wie groß der Talentpool eines Unternehmens am Ende tatsächlich ist, hängt maßgeblich von der Qualität der Candidate Experience ab, also den Erfahrungen, die Bewerber*innen im Kontakt mit der Organisation machen. Für Unternehmen ist es strategisch sinnvoll, auch mit den Kandidat*innen verbunden zu bleiben, die zum Zeitpunkt der ersten Bewerbung noch nicht der perfekte Match sind. Denn das kann sich im Laufe der Zeit ändern, mitunter sogar schneller, als erwartet. Ein ans Customer Relationship angelehntes “Candidate Relationship Management” sorgt dafür, dass eine Verbindung zwischen Bewerber*innen und Unternehmen bestehen bleibt. Auch hier sind die Skills der Kandidat*innen die entscheidende Bezugsgröße. So können potentielle zukünftige Mitarbeitende z.B. zu relevanten Veranstaltungen des Unternehmens eingeladen oder automatisiert über neue Stellen informiert werden.
Fazit: Eine gute Talent Experience geschieht nicht, sie muss gestaltet werden. Kurzfristig, indem neue Tools und Wege einfach mal getestet werden, sei es im Recruiting (z.B. Video-Interviews), in der Kommunikation (z.B. Slack, Signal,….) oder im Hinblick auf neue interne Lernangebote (z.B. Microlearning). Und langfristig, indem Mitarbeitergewinnung, -entwicklung und -bindung strategisch im Unternehmen verankert und mit smarter Technologie unterstützt werden. Dabei steht der Mensch mit seinen Skills, Interessen und Wünschen im Fokus. Der Trend geht zum „My“ – auch bei Produkten, die sich an die eigenen Mitarbeitenden richten. Mit diesen haben Organisationen gute Chancen, den wachsenden Ansprüchen auf dem Talentmarkt gerecht zu werden.