Der Geldwert der Employee Experience
Was nix kostet ist nix wert, heißt es oft. Ist dann automatisch viel wert, was viel kostet? Nehmen wir die durchschnittlichen jährlichen Ausgaben für Mitarbeiterentwicklung und Wellbeing in den USA, die mit 200 Milliarden USD zu Buche schlagen. Legt man diesen Wert an die 100 größten Unternehmen in den USA an, wären das über 13.000 USD pro Mitarbeiter*in pro Jahr. Das ist ohne Frage sehr viel, doch hat es auch sehr viel gebracht? Laut Umfragen sind nur 38 Prozent der US-Arbeitnehmenden wirklich zufrieden mit ihrem Arbeitsumfeld. In Deutschland sieht es nicht besser aus: Gaben bei der Gallup-Umfrage im Jahr 2019 noch 73 Prozent der Befragten an, in einem Jahr noch bei ihrem jetzigen Unternehmen tätig sein zu wollen, stimmten 2020 nur noch 61 Prozent zu. 37 Prozent der befragten Angestellten sind nach eigenen Angaben bereits auf der Suche nach einem neuen Job, damit ist mehr als jeder dritte auf dem Absprung. Es klafft auf den ersten Blick eine Lücke zwischen dem Investment auf Unternehmensseite und dem Impact auf Seite der Mitarbeitenden, also zwischen Erwartung und tatsächlicher Experience. Lohnt es sich dann für Unternehmen überhaupt, so viel Geld in die Entwicklung und Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu investieren? Eine Frage, mit der sich sicher viele HR-Leader konfrontiert sehen. Und die sie selbstbewusst mit “ja” beantworten sollten! Eine gute Employee Experience zu schaffen bleibt einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für Unternehmen in einer zunehmend komplexen Arbeitswelt. Die entscheidende Frage ist, wie HR-Verantwortliche den tatsächlichen Business Impact der EX beweisen können. Hier sind neue Ansätze gefragt, die über die Erfassung von Mitarbeiterzufriedenheit und -engagement hinausgehen.
Wie können diese aussehen?
Zunächst lohnt sich ein selbstkritischer Blick auf die getroffenen Maßnahmen zur Verbesserung der Employee Experience. Denn um überhaupt messbare Erfolge ausmachen zu können, müssen die gewählten Maßnahmen tatsächlich bei den Mitarbeitenden ankommen. Unternehmen sollten sich fragen:
- Investiere ich wirklich in meine Mitarbeitenden und ihre Bedürfnisse oder in meine subjektive Vorstellung von einem guten Arbeitsumfeld?
- Investiere ich vor allem in Maßnahmen, die die Präsenz von Mitarbeitenden belohnen (schickes Office, Dienstwagen, Fitnessstudio im Büro,…) oder in solche, die echte Freiräume aufmachen und Mitarbeitende ermächtigen, eigenständig zu agieren und Verantwortung zu übernehmen?
- Welche Faktoren beeinflussen eigentlich die Employee Experience? Welche Rolle spielen Führungskräfte, Kolleg*innen, neue Tools und Technologien?
Die ersten beiden Punkte zielen klar in Richtung einer neuen Führungskultur, welche die Mitarbeitenden und ihre individuellen Wünsche, Bedürfnisse und Fähigkeiten in den Blick nimmt und auf größtmögliche Selbstbestimmtheit im Arbeitskontext setzt. Fragen und zuhören statt anordnen sowie eine Kommunikation auf Augenhöhe sind dabei zentral. Diese kulturelle Transformation ist jedoch kein Selbstzweck, zumal sie in vielen Organisationen nach wie vor auf Widerstände stößt: Brauchen wir dieses New Work, diesen ausgeprägten Fokus auf die Menschen wirklich, wenn Mitarbeitende doch auch so einen ganz guten Job machen und der Laden läuft? – Obwohl 70 Prozent der Unternehmen insbesondere in Folge der Pandemie den Bedarf sehen, sich mit der Employee Experience im eigenen Haus zu beschäftigen, ist den meisten (86 Prozent) noch nicht klar, wie sie den Mehrwert, der daraus für das Business entsteht, sichtbar (und damit verargumentierbar gegenüber Zweiflern in den eigenen Reihen) machen können.
Wie also können HR-Verantwortliche zeigen, dass es sich lohnt, immer wieder in die EX zu investieren?
1. Stellt Mitarbeitende auf eine Stufe mit den Kund*innen des Unternehmens. Zufriedene “interne Kund*innen” bringen zufriedene externe Kund*innen.
Unternehmen, die Mitarbeitende als interne Kund*innen wahrnehmen, entwickeln ein neues Gespür sowohl für die Wichtigkeit der Beziehungspflege nach innen als auch für die Vielfalt an unterschiedlichen „Touchpoints“, die den Arbeitsalltag von Mitarbeitenden und damit ihre Einstellung zum Unternehmen prägen. Firmen investieren jedes Jahr viel Geld, um (potenzielle) Kund*innen zu verstehen, sie mit passgenauen Produkten und Angeboten zu gewinnen und schließlich dauerhaft an sich zu binden. Genau das sollte auch das Ziel im Hinblick auf die eigenen Mitarbeitenden sein. Denn sie sind die entscheidende Schnittstelle zwischen dem Angebot des Unternehmens und denen, die es kaufen sollen, also den externen Kund*innen. Empfinden Mitarbeitende Freude bei ihrer Arbeit und können sie ihre Aufgabe eigeninitiativ und ausgestattet mit den besten (digitalen) Werkzeugen ausführen, wirkt sich das positiv auf den Umgang mit Kund*innen aus und damit auf den Geschäftserfolg des Unternehmens.
2. Macht eine gute Employee Experience nicht nur am Engagement der Mitarbeitenden fest, sondern an der Qualität der vielen Erfahrungen in ihrem Arbeitsalltag.
Um die Auswirkungen einer gute Employee Experience auf den Unternehmenserfolg zu zeigen, muss ihre Rolle innerhalb der Wertschöpfungskette sichtbar werden. Und Wertschöpfung beginnt nicht erst, wenn der Kunde einen Bestell-Button klickt. Sie endet auch nicht, wenn er die Rechnung bezahlt hat. Wertschöpfung verläuft nicht linear, sondern spannt sich netzartig in viele Richtungen auf. Dieses Wertschöpfungsnetz hat viele Startpunkte. Etwa wenn ein Mitarbeitender aus dem Kundensupport-Team über das firmeneigene CRM-Tool versucht, ein Kundenproblem zu lösen und dafür parallel mit seiner Managerin kommuniziert. Hier ergibt sich die Qualität der Employee Experience aus dem komplexen Zusammenspiel von menschlichen, digitalen und physischen Touchpoints:
- Möchte ich als Mitarbeitender die beste Lösung finden, weil ich mich in meinem Arbeitsumfeld wohlfühle, ein tolles Team habe und die Unternehmensvision teile?
- Funktioniert das von mir benutzte CRM-Tool reibungslos, hängt es sich ständig auf oder habe ich nur eingeschränkten Zugriff auf Informationen?
- Bekomme ich Rückhalt durch meine Managerin bei der Lösung des Problems?
Eine Alltagssituation und gleich drei Faktoren, die die Employee Experience prägen – und damit auch den Ausgang des Kundengesprächs, das wiederum die zukünftige Einstellung des Kunden gegenüber dem Unternehmen beeinflusst, damit seine erneute Kaufbereitschaft, die Weiterempfehlung an Freund*innen und Bekannte usw. Employee Experience meets Value Chain.
Das Beispiel zeigt: Wer den Business Impact einer guten Employee Experience messen will, braucht ein umfassendes Verständnis der vielen großen und kleinen Prozesse in der Organisation, der zwischenmenschlichen wie der technischen, und ihrer Auswirkungen auf das Alltagserleben der Mitarbeitenden. Hier sind neue Daten gefragt, die diese Erfahrungswerte ermitteln und in Beziehung zu anderen Mitarbeiterdaten setzen, etwa solchen zur Selbsteinschätzung, Performance, Zufriedenheit, Überstunden usw., klassischen “Engagement-Daten” also.
3. Schafft neue Erfahrungsräume von Menschen für Menschen im Unternehmen.
Je einfacher Unternehmensprozesse sind, desto besser sind sie messbar und je besser lassen sich positive Entwicklungen des Unternehmens auf bestimmte Handlungen in der Organisation zurückführen. Eine gesteigerte Selbstwirksamkeit jedes Einzelnen mündet in einer gesteigerten Wirksamkeit des Unternehmens insgesamt. Diese Selbstwirksamkeit zu stärken sollte das Ziel von HR- und EX-Leadern in Unternehmen sein. Dafür braucht es offene Strukturen und Möglichkeiten für Mitarbeitende, sich eigeninitiativ zu vernetzen, Wissen zu teilen, von- und miteinander zu lernen und Verantwortung zu übernehmen. Werden diese Strukturen durch smarte digitale Tools gestützt und ermöglicht, hinterlässt jede neue Erfahrung, die Mitarbeitende im digitalen Raum machen, eine wertvolle Datenspur. Alle Erfahrungen zusammengenommen bilden dann eine Art datengestützten „Employee Experience Footprint“ einer Organisation – eine wichtige Referenz für den Unternehmenserfolg und damit eine starke Argumentationsbasis für People Manager*innen und HR-Verantwortliche, die sich für menschenfreundliche Arbeitsstrukturen stark machen.
Das alles kostet was. Im ersten Schritt vor allem alte Gewohnheiten und Denkmuster. Im nächsten Schritt auch Geld. Aber eines ist auch klar: Es gibt kein besseres Investment als das in die eigenen Mitarbeitenden.